Undercover
Undercover, solo show at Gallery Sophia Vonier
Text by Barbara Horvath
"Karo Kuchar zieht ganze Wände aus, entledigt sie ihrer pigmentierten Haut, um sie synthetischer oder natürlicher Materie wieder anzuziehen. Dabei entstehen brüchige Landschaften, haptische Topographien, die (stoffliche) Körperteile in Form von Badebekleidungen umhüllen.
Leerstehende Gebäude und Wohnungen sind der Ausgangspunkt ihrer Feldforschung. Alten Verputz, abbröckelnde Wandfarbe, Schmutz, Tapetenreste und Schichten vergangener Zeiten überträgt sie mit Bindemittel auf durchlässige Stoffe. Diese wiederum verarbeitet sie zu gewaltig großen Badeanzügen, die locker auf kupfernen Kleiderbügeln im Raum hängen. Bikinis und Badehosen spannt die Künstlerin über Keilrahmen und kombiniert sie zuweilen zu ultra-knackigen „Paaren“. Mit schelmischen Titeln wie „Copa Cagrana“ oder „Apollonia“ versehen, verwandelt sie nackte Wände in Kleidungsstücke und referenziert damit humorvoll auf das letzte Stück Stoff, das unsere Scham bedeckt.
„(…) Raum [hat] eine lebendige Haut zu sein, die Informationen aufnimmt, sie speichert, verarbeitet, um sie weiterzugeben“, schreibt Vilém Flusser in seinem Text „Räume“ von 1991. Karo Kuchar erfährt Räume als Behausung und jedenfalls nicht kartesisch im Sinne eines orthogonalen Koordinatensystems. Vielmehr verdeutlichen ihre „Raumanzüge“ eine pulsierende Blase, welche die Zeit in Schichten stapelt. Ihre „Körper-Hüllen“ strukturieren den Körper und konstituieren ihn, grenzen seine Formen gegenüber dem öffentlichen Raum ab.
Im Mittelpunkt ihres Interesses stehen Transformationsprozesse, Aneignungen und Bedingungen, die eine Veränderung bewirken. Das erzählerische Potenzial des Materials und das Beziehungsgeflecht zwischen Raum und Körper füllen in ihrer neuesten Werkgruppe („Juicy-Serie“) Teile von Organza-Stoff zu hautfarbenen Rundungen. Gestreifte Wandoberflächen werden dazwischen gespannt, um den fragmentierten Körper von hinten zu zeigen. Sinnliche „soft sculptures“ sprengen den Rahmen in voluminösen Wülsten, wölben sich plastisch in den Raum und lassen einen spielerischen Zugang zum Genre des Wandreliefs erkennen.
Die Tinder Boy-Serie hingegen reflektiert den Bildschirm unserer Smartphones. In diesen Arbeiten werden einzelne Profile der Dating-App „Tinder“ aus Baumwolle, Organza, Leder, Acrylfarbe und Füllstoff gezeigt. Maschinell genähte Darstellungen, „fragile Egos“ von durchtrainierten Oberkörpern und erigierten Penissen in bunten Boxershorts, geben gemeinsam mit gemalten Symbolen und Texten, Informationen zu deren potenten Trägern preis. Auch der Screen ist ein neues Stück Haut, dass wir vor uns hertragen.
Karo Kuchar durchmisst Raum und Räume, Körper, Oberflächen und Materialitäten. Dabei interessiert sie sich paradoxerweise für das Unstoffliche, das nicht Greifbare, von dem George Perec in seinem Buch „Träume von Räumen“ als dem Drumherum spricht, der „Außenwelt, das was außerhalb von uns ist, das, in dessen Mitte wir uns bewegen, die Umwelt, der Raum ringsum.“
EN
„Karo Kuchar strips entire walls, stripping them of their pigmented skin in order to put synthetic or natural matter back on them. In the process, fragile landscapes emerge, haptic topographies that envelop (material) body parts in the form of swimwear.
Vacant buildings and apartments are the starting point of her field research. She transfers old plaster, crumbling wall paint, dirt, wallpaper remnants, and layers of past times onto permeable fabrics with binding agents. These, in turn, she processes into hugely large bathing suits that hang loosely on copper hangers in the room. The artist stretches bikinis and swim trunks across stretcher frames, sometimes combining them into ultra-crisp "pairs." Provided with mischievous titles such as "Copa Cagrana" or "Apollonia", she transforms bare walls into pieces of clothing, thus humorously referencing the last piece of cloth that covers our most private parts.
"(...) Space [has to be] a living skin that absorbs information, saves it, processes it in order to pass it on," writes Vilém Flusser in his text „Spaces“ from 1991. Karo Kuchar experiences spaces as housing and in any case not Cartesian in terms of an orthogonal coordinate system. possibly her "space suits" depict a vibrant bubble that stacks time in layers. Their “body shells” structure and constitute the body, delimiting its forms from public space.
The focus of her interest are transformation processes, appropriations and conditions that lead to a change in optics. In her latest group of works (“Juicy Series”), the material's narrative potential and the network of relationships between space and body fill parts of organza fabric with skin-colored curves. Striped wall surfaces are stretched in between to show the fragmented body from behind. Sensual “soft sculptures” burst the frame in voluminous bulges, arching into the room and revealing a playful approach to the genre of wall reliefs.
The Tinder Boy series contradicts the screens of our smartphones. These works show individual profiles of the dating app "Tinder" made of cotton, organza, leather, acrylic paint and filler. Machine-sewn representations, “fragile egos” of ripped upper bodies and erect penises in colorful boxer shorts, together with painted symbols and texts, reveal information about their potent wearers. The screen is also a new piece of skin that we carry in front of us.
Karo Kuchar measures spaces, bodies, surfaces and materials. But ironically, she is interested in the immaterial, the intangible, which George Perec speaks of in his book „Species“ of Spaces“ as the trappings, the "outside world, that which is outside of us, that in the midst of which we move, the environment, the space around.”